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Larissa Subashi

Gerettet durch mutige Menschen

Meine Kindheit im Krieg

1926 wurde ich in Odessa, in der Ukraine, als Tochter eines jüdischen Paares namens Braverman geboren. Als ich drei Jahre alt war, starb meine Mutter an Tuberkulose. Schon nach kurzer Zeit heiratete mein Vater erneut. Eine sehr einfallsreiche und tatkräftige, nicht-jüdische, armenische Frau aus der Subashi Familie wurde meine Stiefmutter.

 

Nachdem der zweite Weltkrieg ausbrach, wollte mein Vater Odessa umgehend verlassen und in den Osten Russlands fliehen. Er ahnte, sobald die Deutschen die Stadt besetzten, würden sie alle Juden umbringen. Doch da die Deutschen bereits die Schiffe bombardierten, hatten meine Eltern Angst über das Meer zu fliehen. Mutter war ohnehin nicht einverstanden zu gehen, da sie ihre Wohnung, Möbel und andere Besitztümer nicht aufgeben konnte. Sie wollte meinen Vater während der Kriegszeit lieber verstecken. Während meine Eltern noch über die Fluchtoption diskutierten, nahmen die Deutschen Odessa ein.

 

Sobald sie kamen, versammelten sie auch schon alle Juden und gaben ihnen Verbote und Verhaltensregeln. Unter anderem mussten wir zum Beispiel ein Dokument unterschreiben, welches besagte, dass wir weder umziehen noch fliehen würden.

Die Deutschen trafen Vorbereitungen um uns in Konzentrationslager zu schicken. Nach einer Weile übertrugen sie die Kontrolle über Odessa und Moldawien dann den Rumänen. Aber auch diese fassten gleich die Juden ins Auge.

Sie wurden gesammelt, indem sie in festgelegte Gebiete ziehen mussten, welche schließlich Ghettos wurden. Alle, die sich versteckten, sollten umgehend umgebracht werden.

Mutter versteckte Vater im Keller unseres Hauses. Die Rumänen suchten überall in der Stadt. Sogar nachts klopften sie an Türen und fragten, ob Juden im Haus seien.

 

Eines Tages kamen sie auch zu uns und nahmen meinen Vater mit. Sie befahlen ihm, sich neben unserem Haus in eine Schlange von wartenden Menschen zu stellen – alles Juden, welche nach Dalnik geschickt wurden. Von Dalnik einem Dorf, nicht weit von Odessa, hatten wir bereits gehört, dass dort Juden verbrannt wurden.

 

Nach einer Weile kamen auch wir aus unserem Haus, um uns von meinem Vater zu verabschieden. Er stand noch immer in der Warteschlange und wir blieben lange bei ihm. Plötzlich, als die Soldaten einen Augenblick abgelenkt waren, zog meine Mutter kurzerhand Vater aus der Schlange und brachte ihn zurück nach Hause.

Sie flüsterte: „Entweder ich rette dich, oder wir werden alle sterben.“ Die Soldaten bemerkten das Fehlen meines Vaters nicht.

Unsere Flucht

Aber wie konnten wir Vater weiterhin beschützen? Ihn wieder im Keller zu verstecken war sehr gefährlich. Armenische Freunde rieten meiner Mutter, sich an einen armenischen Priester zu wenden, welcher sich derzeit als Patient im Krankenhaus befand.

Mutter beschloss ihn zu besuchen. Er war sehr krank und hatte keine Verwandten, die sich um ihn kümmern konnten. Der Priester erzählte von einem Haus in Moldawien. Gemeinsam beschlossen sie, unsere Familie würde sich um den Priester kümmern, wenn dieser Vater Unterschlupf gewährt.

Sie brachte ihn also mit nach Hause und wir pflegten ihn. Ich kochte, wusch seine Wäsche, putzte und half ihm in allen möglichen Dingen.

 

Zu unserer Familie gehört auch mein jüngerer Bruder, welcher im Mai 1942 geboren wurde und zu dem damaligen Zeitpunkt erst vier Monate alt war. Mutter stillte ihn und besorgte uns anderen Lebensmittel. Bei der ersten Gelegenheit reisten Mutter, Vater und der Priester nach Moldawien. Obwohl ich erst 16 Jahre alt war, blieb ich alleine mit meinem kleinen Bruder in Odessa zurück und kümmerte mich liebevoll um ihn. Eines Tages wärmte ich Kuhmilch für ihn auf. Daran wäre er beinahe gestorben, doch Gott sei Dank überlebte er! Nach einer Weile holte Mutter uns beide nach Moldawien nach. Doch nach einiger Zeit starb der Priester und es war nun zu gefährlich alleine in seinem Haus zu bleiben. Eine Familie in Moldawien erklärte sich bereit Vater zu verstecken, also blieben wir noch dort.

Meine falsche Identität

Unter rumänischer Besetzung kam oft jemand in die Häuser, um die Dokumente der Anwohner zu prüfen. Als ich schließlich 18 Jahre alt wurde, konnten wir meine jüdische Herkunft nicht mehr verstecken. Meine leibliche Mutter war auch Jüdin und mein Familienname vor dem Krieg war Braverman, damit war klar, dass ich meine Geburtsurkunde nicht zeigen durfte. Was konnten wir tun?

Mutter hatte eine Idee: Wir nahmen mein Schulzeugnis, in dem meine Noten standen und welches bestätigte, dass ich sieben Klassen in Odessa abgeschlossen hatte. Mutter riss die Stellen mit dem Familiennamen und mein Geburtsjahr heraus und machte eine Frau ausfindig, die die Handschrift auf der Urkunde fälschen konnte. Diese trug den Namen Subashi, neben die Stelle wo ursprünglich Braverman stand, ein. Als die Rumänen dann kamen, um unsere Dokumente zu überprüfen, erklärte Mutter ihnen, meine Geburtsurkunde sei verloren gegangen, aber wir könnten ihnen stattdessen meine Schulbescheinigung vorlegen. Sie fügte hinzu, die Löcher in der Bescheinigung wären von Mäusen verursacht wurden. Die Rumänen glaubten Mutter und schickten uns für einen neuen Personalausweis zur Polizei.

Auch dort erzählte sie den Beamten, dass ich keinen Personalausweis mehr habe und zeigte ihnen stattdessen mein Schulzeugnis. Der Beamte befahl mir, mich vor ihn zu stellen. Mutter stand neben mir und beantwortete seine Fragen. Sie hatte auch mein Alter verändert. Auf dem Papier war ich nun drei Jahre jünger, sodass ich nicht zum Arbeiten nach Deutschland geschickt werden würde.

Ich erhielt meinen falschen Ausweis in Moldawien am 29. Februar 1944. Als ich mich viele Jahre später dazu entschied nach Israel zu ziehen, erhielt ich eine Kopie von meinem originalen Ausweis aus den Odessa Archieven. Trotzdem behielt ich den Familiennamen meiner Stiefmutter, da sie wie eine leibliche Mutter für mich war. (Im Türkischen bedeutet „su“ „Wasser“ und „bashi“  ist Kopf. Subashi ist also ein „Brunnen“.)

Nachkriegszeiten

Als der Krieg vorbei war, zog ich zurück nach Odessa und studierte dort am College. Ich arbeitete als Konditorin, während ich zugleich ein Fernstudium an einem Lebensmittelinstitut absolvierte. Bis zu meiner Pensionierung 1984 arbeitete ich dann als Lebensmittelingenieurin in Kishinev.

 

1962 heiratete ich meinen Mann, der dann 1993 an Krebs verstarb. Wir haben keine Kinder und nach seinem Tod war ich geistlich in einer sehr schwierigen Lage. Ich kannte Jesus Christus noch nicht. Ein Freund aus der Adventistenkirche lud mich zu seiner Gemeinde ein, um einen amerikanischen Pastor zu hören. Mir gefiel die Predigt sehr gut, denn der Pastor zeigte uns, dass sowohl das Alte, als auch das Neue Testament von Jesus, dem Messias, erzählt. Ich hatte aufgrund meiner finanziellen Situation keine Bibel, und abgesehen davon war es schwierig eine zu bekommen. Sie sagten uns, dass jeder, der elfmal zum Gottesdienst kommt, eine Bibel umsonst erhalten würde. Daran war ich sehr interessiert und beschloss alle elf Mal zu kommen und zuzuhören. So begann mein Weg mit Gott.

 

Ich besuchte die Adventistenkirche und deren Hauskreise regelmäßig. Oft wurde ich gefragt, ob ich nicht ein festes Mitglied werden möchte, aber für einen derart großen Schritt war ich noch nicht bereit.

Außerdem wollte ich auch noch andere Glaubensgemeinschaften besuchen. Und so ging ich zu vielen verschiedenen Gemeinden. Unter anderem auch zu den  Zeugen Jehovas, Pfingstlern und Baptisten. Eines Tages kam eine Gruppe von messianischen Juden von St. Petersburg nach Kishinev. Sie hatten ein Treffen in einem Stadion mit Ansprachen, jüdischen Liedern und Tänzen. Von ihnen erfuhr ich von einer messianischen Gemeinde in der Stadt Kishinev, die ich daraufhin oft besuchte.

Mir gefielen die Predigten und die jüdischen Lieder sehr, weshalb ich dann auch Teil der Lobpreisgruppe wurde. Und schließlich wurde ich in dieser Gemeinde dann auch getauft.

Israel

Eines Tages kamen zwei Missionarinnen aus Polen und Kanada nach Kishinev. Im Hauskreis erzählten sie uns, dass Gott sein Volk in Israel sammeln würde und, dass das Land unserer Vorfahren auf uns wartet.

Sie halfen mir auch finanziell und beim Organisieren der Papiere, die ich brauchte um Aliyah* machen zu können. Im Alter von 72 Jahren kam ich dann alleine nach Israel.

 

Ein Freund lebte in Haifa und es wurde auch meine Heimatstadt. Ich wurde Mitglied einer  Baptisten Gemeinde. Dort hörte ich auch über das Ebenezer Seniorenheim und zog erst einmal in eine von vier externen Wohnungen, die dem Ebenezer gehören. So konnte ich noch eigenständig, eng mit drei anderen, älteren Frauen leben.

Wir nahmen im Ebenezer an den wöchentlichen, russischen Bibelarbeiten teil. Auch die Feste feierten wir mit; oft spielte ich dabei Geige in der Musikgruppe. Manche von uns gingen auch zum Ebenezer, um bei den Handarbeitsaktivitäten teilzunehmen. So lernten wir das Heim schon kennen und als sich dann mein gesundheitlicher Zustand verschlechterte, bewarb ich mich im Ebenezer als Bewohnerin und zog im Dezember 2009 ein.

Da ich keine Familie hier in Israel habe, ist es für mich sehr wichtig ein Teil von der Ebenezer-Familie zu sein, wo man sich um meine Bedürfnisse kümmert.

 

*Aliyah (hebr.: „Aufstieg, Hinaufgehen zum Vorlesen der Thora, Wallfahrt, Pilgerfahrt nach Jerusalem“), bezeichnet in übertragenem Sinn: die Einwanderung von Juden nach Israel

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